ars et saliva
 
david p. eiser
    
zeitraffer
   
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wissenschaft
 
 kommunalpsychiatrie (engl.: 
MP, municipal psychiatry)  
  
  diese fachrichtung der
nervenheilkunde hat jahrzehntelang ein schattenda-
 sein geführt, anstatt – mit voller berechtigung - ein begehrenswertes 
terrain 
 für wissenschaftliche neugier darzustellen.
  
  dr. med. Hummon F. Belstoer, 56, medizinhistoriker, beratendes mitglied
 in 
 der organisation Europäischer Städtetag, lenkte im interview mit 
k&k* (anfang 
August 2015 auf dem Scharmützelsee) unsere aufmerksamkeit auf eine interes-
 sante diagnose: im deutschen ICD**-anhang findet sich cPDBS 
(canigene 
 (lat.: vom hund ausgehend) PostDefäkationsBelastungsStörung).
kein wunder, 
 dass wir an dieser stelle hellhörig wurden.
  
  k&k:   herr Belstoer, vor nunmehr vier jahren hat endlich 
auch die Weltge-
 sundheitsorganisation den zielbereich gemeinwesen in ihre internationale 
klas-
 sifikation der krankheiten - ICD 10; app. MP -  aufgenommen. dies geschah auf 
 druck der UN; denn bereits 
am 3. sep. 1981 war die Convention on the Elimi-
 nation of all Forms of
Discrimination in kraft getreten, in der es u.a. heisst: "The 
 International Bill of Human Rights, combined with related human
rights treaties, 
 thus lays down a comprehensive set of rights to which all persons … are entitled".
 
 
  B.:   da hat sich, wenn auch 
nach langer verzögerung durch alle instanzen von 
 EU und EU-ländern, letztendlich die einsicht durchgesetzt, dass auch 
im medizi-
 nischen bereich kein platz für diskriminierungen sein darf. als logische 
konse-
 quenz ergab sich daraus, dass nun auch juristischen personen ein rechtsan-
 spruch auf standardisierte medizinische diagnosen zuzubilligen ist.
  
 k&k:   in diesem zusammenhang sprechen wir über eine 
diagnose, die wahr-
 scheinlich europa-, wenn nicht gar weltweit anzutreffen ist. das heisst, 
es leiden 
 unzählige gemeinwesen an dieser krankheit oder störung?
 
 B.:   so ist es. es handelt sich um eine der häufigsten 
und zugleich unange-
 nehmsten kommunalen erkrankungen, die sich überall dort endemisch ausbrei-
 ten, wo gemeinwesen entstehen und einen gewissen zivilisationsgrad überschrei-
 ten. das geschieht nicht erst seit ein paar jahren sondern ist eine seit 
jahrtausen-
 den bekannte tatsache. leider kam es erst gegen ende des letzten jahrhunderts 
 zur wissenschaftlichen wahrnehmung dieses phänomens, und dann dauerte 
es 
 noch mal zwei jahrzehnte, bis gesetzliche regelungen weltweit griffen.
 
 k&k:   aber bereits in den 20-er jahren des vergangenen
jahrhunderts hat Fredy 
 Sieg in seinem "Lied von der Krummen Lanke" soziale probleme einer grosstadt
 
 porträtiert, die in der zerrüttung einer jungen ehe gipfelten, 
und zwar als folge 
 einer unbedachten köteranschaffung. 
  lassen sie mich ein paar verse zitieren…
 
  …und der Osterhasenmann kam mit eenem Köter an
  und wir kriechten eenen Schreck janz fürchterlich:
  eenen Bollerkopp ang groo und de Beene krumm wie´n O
  s´war so´n richtjer kleener Krummelankerich.
 
  Ach, der Köter der war toll, alle Ecken macht der voll
  und ick räumte dann die dreck´jen Dinger raus;
  denn de Emma meinte jlatt, det se det nich nötig hat,
  dadurch kam bei uns der erste Streit ins Haus.
 
  Nachher saß ick in der Küche uff der Banke
  und der Köter machte Männchen, bitte schön,
  und ne Filiale von der Krummen Lanke
  plaziert´ er mir uffs linke Hosenbeen…
 
 B.:   (lacht) ja, und am ende dieser tragödie dann die
scheidung.  das war ein 
 sehr hellsichtiges couplet und schildert anschaulich einen typischen schritt 
auf 
 dem weg in die bürgerliche gefährdung durch cPDBS.
 
 k&k:   was ist das für eine erkrankung? was bedeutet 
cPDBS auf deutsch?
 
 B.:   man könnte dies übersetzen mit: "durch das absetzen
 hündischer kakteen 
 verursachte belastungsstörung in der gemeinde." -  sie geht also 
mit einer 
 erheblichen beeinträchtigung eines gemeinwesens einher. sie verändert 
das 
 
verhalten der bürgerinnen 
und bürger dahingehend, dass intoleranz und ag-
 gression provoziert und dadurch soziale spannungen gefördert werden 
sowie 
 gehäuft interpersonelle konflikte auftreten. letztere werden einerseits 
begün-
 stigt durch die hochzivilisierten lebensumstände, andererseits werden 
sie aber 
 auch durch schlecht angepasste administratorische massnahmen der kommu-
 nalverwaltungen provoziert (***). ausserdem, wie viele psychische krankheits-
 bilder, so kann auch die cPDBS körperliche - in diesem fall also infrastruktu-
 relle - begleiterscheinungen entwickeln, und das macht sie wegen ihrer kom-
 plexität unberechenbar; und im übrigen erschwert und verteuert 
letztere die 
 therapie.
 
 k&k:  rund um Schlachtensee und Krumme Lanke in Berlin ist
 heute also be-
 reits deutlich die entsprechende symptomatik zu erkennen?  
              
  
  B.:  so ist es.
  
  k&k:  und wodurch zeichnet sich diese 
krankheit aus?
 
 B.:   die symptomatik ist vielgestaltig. aber bevor ich 
näher darauf eingehe, 
 lassen sie mich zunächst einen blick auf die ursache dieser störungen 
werfen. 
 wie die krankheitsbezeichnung schon andeutet: es geht ursächlich um 
das 
 verhalten gewisser vierbeiniger zeitgenossen - ob das nun haus-, schoss-, 
 jagd-, wach-, drogen-, polizei-, schlitten-,  hüte-, blinden-, 
ketten-, strassen- 
 oder familienhunde sind, ist völlig gleichgültig  -  
sie alle wollen ein- bis zwei-
 mal am tag ihr gedärm entleeren, ohne zivilisatorische vorgaben zu
erfüllen 
  bzw. erfüllen zu können. 
 
 k&k:  den kötern fehlt also die gesellschaftliche anpassungsfähigkeit?
 
 B.:  genau. - ein hund, gleich welchen alters, welcher rasse 
oder grösse, 
 bleibt auch im 21. jahrhundert ein lebewesen, das seit seiner domestizierung 
 wesentliche wildtiermerkmale nicht abgelegt hat. so werden für die
defäkation 
 tag für tag öffentliche verkehrswege, parkanlagen, gärten, 
in notfällen auch 
 beliebige gebäuderäume ungeniert benutzt, ohne sich - mangels
entsprech-
 ender intellektueller fähigkeiten - um deren primäre bedeutung
für ein gemein-
 wesen zu kümmern oder deren pure existenz als vom menschen geschaffene
 
 und gepflegte umwelt zu respektieren. hier finden wir also permanent zeug-
 nisse dieser archaischen verhaltensweisen, die allein durch ihre optische 
 und geruchsbildende anwesenheit vorzugsweise zu hinder- und ärgernissen 
 aber auch gefahrenstellen für den menschen und letztlich für das 
gemein-
 wesen insgesamt werden. 
 
 k&k:  welche gefahren drohen den gemeinwesen?
 
 B.:  wir wissen aus langjährigen untersuchungen zum verhalten
 dieser tiere, 
 dass von ihren kakteen vielfältige gefährdungen ausgehen. gefahr 
droht 
 zum beispiel durch insektenbefall oder durch verbreiterung der ursprünglich 
 in anspruch genommenen pflanzfläche durch scherkräfte bei auftretendem 
 schuh- bzw. stiefelschlag. ferner stellen diese kakteen auch infektiöse 
gefah-
 renherde dar. ebenso kann menschliche unachtsamkeit bei fussläufiger
 fort-
 bewegung problematische gesundheitliche und ökonomische folgen nach 
 sich ziehen. besonders bei höherem feuchtigkeitsgehalt der kakteen
kann 
 es bei ihrem betreten - oder auch sekundär infolge der schwerkraft
unseres 
 planeten - zu einer grossen bandbreite von verletzungen kommen. und 
 nicht zu unterschätzen sind die folgen auf offener strasse, wenn fahrzeuge 
  auch schon bei mittlerer geschwindigkeit aufgrund der fliehkraft kakteenbe-
 standteile, die sich in den reifenprofilen festgesetzt haben, in die umgebung 
 schleudern. hier ist nicht nur mit einer streifigen verschmutzung der fahrbah-
 nen zu rechnen sondern auch von erhöhter rutschgefahr bei nasser fahr-
 bahn und einer deutlichen erhöhung der feinstaubbelastung für
alle verkehr-
 steilnehmenden auszugehen. 
 
 k&k:  man könnte doch einwenden, dass es sich bei den
 abgesetzten kak-
 teen um reine naturprodukte handele, die demgemäss einem natürlichen 
 schwund anheimfallen, hervorgerufen durch wind und wetter, unterstützt 
 durch bakterien, pilze, fliegen, maden und würmer usw….
 
 B.:  das ist zwar theoretisch richtig, aber praktisch in unserer
 schnelllebi-
 gen zeit und bei unseren hohen ansprüchen an hygiene und sicherheit 
 nicht tolerierbar; denn die naturbelassene beseitigung der kakteen an 
 ort und stelle ist letztlich ein biologischer vorgang und kostet deshalb 
 nicht nur viel zeit sondern bietet auch vielfältige möglichkeiten 
der umwelt-
  schädigung. eine kennzeichnende markierung des pflanzortes oder sogar 
 eine physische separierung kommen aus ökonomischen gründen wohl 
 kaum infrage. was bleibt, sind zwei forderungen: erstens der appell an 
 die wissenschaft, die intellektuellen fähigkeiten der verursachenden 
tiere 
 durch genmanipulation an unsere zivilisatorischen anforderungen anzu-
  passen und zweitens für die übergangszeit alle hundehalter/innen 
aufzu-
 fordern, die kakteen setzfrisch aufzusammeln und einer geordneten ent-
 sorgung oder weiterverwertung zuzuführen, um das gemeinwesen zu 
 schützen.
 
 k&k: selbst bei optimistischer einschätzung dürfte
es noch lange dauern, 
 bis alle hunde in städten und dörfern den von ihnen angesprochenen 
 leistungsfähigkeiten entsprechen. 
  bis dahin wird also weiterhin mit der symptomatik dieser störung zu 
rech-
 nen sein?
 
 B.: sie sagen es.
 
 k&k: und wie stellt sich diese krankheit dar? 
                    
  
  B.: aus nahezu völlig nebensächlich erscheinenden 
auffälligkeiten zu 
 beginn einer solchen störung entsteht im verlauf eine kette von sympto-
 men, deren ausmass und häufigkeit zunehmen, bis die kommunale wahr-
 nehmung dieser einzelphänomene eine erste administrative gegen-
  reaktion einleitet. der dabei durchschrittene zeitraum kann viele jahre 
 dauern; denn er ist abhängig vom entwicklungsfortschritt des zivilisations-
 prozesses und nicht zuletzt auch von der ökonomischen leistungsfähigkeit 
 der bewohner. 
  da es sich hierbei um biologische entwicklungen handelt, ist immer von
 grösseren zeiträumen auszugehen. es handelt sich dabei also nicht 
um 
 jahre sondern um viele jahrzehnte.
  charakteristische frühmerkmale dieser erkrankung sind z.b. fokussierte
 
 diskussionsinhalte in stadtratssitzungen, gemeindeversammlungen, bürger-
 gesprächsrunden, mitgliederversammlungen der politischen parteien, 
 gründung von bürgerinitiativen und so weiter… 
  letztere zeugen bereits von fortschreitender symptomatik, da sie generell 
 ein angehobenes emotionales energieniveau aufweisen. damit geht leider 
 eine minderung der rationalen steuerungsfähigkeit einher, so dass sich 
 stressituationen etablieren, die den dialog erheblich erschweren können. 
 im politischen gerangel müssen dann kompromisse zwischen den extre-
  men positionen gefunden werden, was bekanntlich ein mühsames und 
 zeitraubendes demokratisches unterfangen ist.
  die immer wieder aufflammenden diskussionen in der kommune, unter-
 stützt durch die medien, die sich gerne und dankbar solcher themen
be-
 dienen, sorgen für erhöhte aufmerksamkeit bezüglich aller 
auffälligkeiten 
 von hündischer seite, tragen zur allgemeinen verunsicherung bei und 
  setzen eine fülle von ideen und forderungen von bürgern und behörden 
 frei, die zu einer eingeschränkten wahrnehmung anderer wichtiger kommu-
 naler themen führen. das wiederum hat zur folge, dass positive kommu-
 nale impulse vernachlässigt und somit die anfänge für gemeindeschäd-
 liche  entwicklungen generiert werden. 
  irgendwann beherrscht die hundeproblematik soviel denk- und diskussions-
 zeit, dass viel wichtigere dinge nicht mehr bearbeitet werden können. 
dann 
 ist das gemeinwesen dort angekommen, wo behördliche erlasse sowie 
 gesetzgebungen beginnen, den alltag der bürger zu beherrschen und die 
 freiheitsgrade des täglichen lebens zu reduzieren. parallel dazu sieht
 sich 
 die kommune gezwungen, erhebliche personelle und finanzielle mittel zu 
 investieren, um die negativen defäkationsfolgen zu mindern bzw. ggf. 
zu 
 beseitigen ****. 
 
 k&k: woher sollen diese mittel kommen?
 
 B.: die erforderlichen mittel fallen nicht vom himmel sondern sind 
aus dem 
 steueraufkommen bereitzustellen, was wiederum zu endlosen diskussionen 
 in haushaltsgremien führt und schliesslich den bürger erzürnt, 
weil er als 
 letztes glied in der ressourcenkette seinen geldbeutel mal wieder ein paar 
 winkelgrade weiter öffnen muss.    
  
  k&k: geht es denn grundsätzlich allen kommunen 
so?
 
 B.: nein, natürlich nicht. die symptomatik verteilt sich breit 
in ihren ausprä-
 gungen. es gibt gemeinwesen, die durchaus wege gefunden haben, diese 
 belastungsstörungen so niedrig wie möglich zu halten, andere wiederum 
 leiden in grossem umfang. es ist wie bei natürlichen personen auch: 
jeder 
 leidet auf seine weise. der eine hat eine gute konstitution und steckt vieles 
 leicht weg, dem anderen fehlen solche selbstheilungs- und/oder abwehr-
 kräfte. dann ist therapie angesagt. 
 
 k&k: wer bezahlt diese therapien? gibt es soetwas ähnliches 
wie kranken-
 kassen für juristische personen? 
 
 B.: nicht im eigentlichen sinne. noch nicht. es wird allerdings bereits
 disku-
 tiert, ein solches versicherungssystem aufzubauen. bis es soweit ist, sind 
 die anfallenden kosten von den kommunen selbst zu tragen, die ihre bür-
 gerinnen und bürger steuerlich entsprechend belasten. betriebswirtschaft-
 lich ist zunächst zu klären, welche variante für die steuerpflichtigen 
gün-
 stiger ist; denn auch die beiträge zur versicherung müssten ja 
letztlich 
 ebenfalls von den bürgerinnen und bürgern aufgebracht werden.
  die therapien sind einerseits umfangreiche beratungs- und supervisions-
 angebote, um entstehungsursachen, entwicklungen und auswirkungen 
 theoretisch zu bearbeiten, andererseits kommen administratorische und 
 infrastrukturelle massnahmen zum tragen, um konkrete aufgaben wie ver-
 meidungen, einschränkungen, erlaubnisse und gesellschaftlich relevante 
 steuerungen wahrzunehmen, und des weiteren sind ggf. handwerklich-
 bauliche massnahmen zu ergreifen, um sicherheit und schutz der bürger-
 innen und bürger zu gewährleisten und dadurch das gemeinwesen
zu  
 entlasten.
 
 k&k: vielleicht wäre es ja schon hilfreich, wenn die hundesteuer
 entspre-
 chend erhöht würde, so dass es viele leute abschreckt, sich so 
ein tier zu 
 halten?
 
 B.: damit rechne ich nicht. denken sie doch an die lobby der hundefutter- 
 und hundebedarfshersteller, an die züchter, an die einsamen herzen, 
die 
 den hund als beziehungsobjekt benötigen und an die gehemmt aggres-
 siven, die ihren köter stellvertretend als abkacker benutzen. es handelt 
 sich um ein milliardenschweres interessenkonglomerat, das täglich daran 
 arbeitet, wünsche und begehrlichkeiten zu erzeugen, die den umsatz
be-
 fördern und damit den gewinn steigern. auf der anderen seite steht
der 
  staat, der gerne die 19 % mehrwertsteuer entgegennimmt, die beim kauf 
 der futtermittel und bedarfsartikel fällig wird und zusammen mit der 
hunde-
 steuer den öffentlichen haushalten zugutekommt.
  der hund stellt in erster linie ein politisches problem dar und dieses
muss 
 mit politischen mitteln gelöst werden.
 
 k&k: herr dr. Belstoer, wir danken ihnen für das gespräch.
 
 
 * k&k: kot und köter, die zeitschrift für den 
deutschen hundefeind
 
  ** ICD: International Classification of Diseases (intl. diagnosenverzeichnis)
 
  *** siehe auch "hundepisse oder die vermittelstrahlte stadt", k&k heft 
5 sowie "hundekot: berliner gold 
  zu biodünger", k&k heft 4
 
  **** siehe auch DER SPIEGEL nr. 32 vom 1-8-2015, "bei fuss!", die stadt 
Berlin errichtet eine ampel 
  für hunde – und hetzt damit mensch gegen mensch.
                      (interview aus heft 6 des "kot und köter"-magazins, 
dezember 2015)
    
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