ars-et-saliva

 

david p. eiser

zeitraffer



argumente gegen ein sog. grundeinkommen
(sofern es sich um ein gegenleistungsfreies einkommen handelt)



in unserer zeit leistung ohne gegenleistung? auf so ein angebot können wohl
nur politiker kommen, die schon den nächsten wahlkampf und das seit 70
jahren geübte wahlgeschenkemuster vor augen haben.


allerdings: der staat könnte anführen, dass jeder bürger auf irgendeine weise
dem staat gegenüber eine sog. bügerliche leistung erbringt. diese könnte bei-
spielsweise unter anderem darin bestehen, sich gesetzeskonform zu verhalten,
so dass staatliche leistungen (aufklärung von streitigen sachverhalten, ermitt-
lung, verfolgung, bestrafung, wiedereingliederung usw.) nicht in anspruch ge-
nommen werden müssen.

auch die inanspruchnahme von staatlichen bildungseinrichtungen könnte eine
bürgerliche dienstleistung sein; denn auf der basis einer langen schul- und
berufsausbildung erhöht sich die wahrscheinlichkeit, dass der staat davon
profitiert, wenn später leistungsfähige arbeitnehmer für eine blühende wirt-
schaft sorgen.

auch den verzicht auf die benutzung eines kraftfahrzeuges könnte man als
bürgerliche gegenleistung honorieren, würden doch dadurch die verkehrs-
mittel des öffentlichen dienstes besser aus- und strassen weniger abgenutzt
und die luft weniger mit schadstoffen belastet.


sicher werden sich weitere bedingungen definieren lassen, die man in der
rubrik „bürgerliche gegenleistung“ unterbringen könnte, bis hin zu der erkennt-
nis, dass jede persönliche verhaltensweise, die dem staat nicht schadet, eine
entgeltfähige bürgerleistung für ein grundeinkommen wäre.


wenn jedoch diese argumentation nicht akzeptiert wird, dürfte es schwerfallen,
plausible gründe für die zuteilung eines leistungsunabhängigen geldbetrages
zu finden. natürlich
würden sich die politiker die hände reiben, wenn sie damit
durchkämen. sie würden sich nach der nächsten wahl in ihren sesseln zurück-
lehnen und mit einem lächeln in die kameras schauen und erklären, dass nun
alle zufrieden sein können; denn man habe durch die basiserhöhung aller ein-
kommen ein für allemal das armutsproblem gelöst: niemand müssse in diesem
land mehr hungern oder frieren.


dass dies eine scheinlösung wäre, ein unqualifiziertes rumdoktern am symptom,
liegt auf der hand; denn mit der einführung eines bedingungslosen grundein-
kommens sind die gründe für das entstehen dieser situation nicht einmal ange-
tastet, geschweige denn verbalisiert und durchdiskutiert sondern lediglich igno-
riert und verdrängt worden. eine solche – typisch politische – lösung wäre sach-
lich falsch, unprofessionell und ungerecht. die politische aufgabe besteht nicht
darin, pflaster zu verteilen, um wehgeschrei zu minimieren sondern ist ein auf-
trag an die verantwortlichen, nach ursachen für fehlentwicklungen und dann
nach möglichkeiten zur korrektur, zur beseitigung und zur verhinderung zukünf-
tiger schäden zu suchen.



welches sind die ursachen für die aufkommende tendenz, mal wieder nach
gegenleistungsfreiem grundeinkommen für alle zu rufen?


es könnte sein, dass angst parteien und regierung beschleicht, angesichts der
extrem schiefen vermögensverteilung im lande; die angst davor, eines
tages aus den parlaments- und regierungssesseln vertrieben, hinweggefegt zu
werden von einem wütenden sturm der entrüstung; die macht zu verlieren und
mitansehen zu müssen, dass chaos und revolution unser land beherrschen,
weil der auftrag, den das volk den politikern einmal gegeben hatte, nicht erfüllt
wurde...

wenn die reichsten 5 prozent der bevölkerung in der lage sind, bei politikern mit
physischen und virtuellen geldbündeln in den händen persönlich zu anticham-
brieren und 95 prozent des volkes lediglich alle 4 jahre bei wahlen eine gewisse
möglichkeit der beeinflussung besitzen, und wenn die wünsche der 5 prozent
sich direkt in gesetzen und verordnungen niederschlagen können, die wünsche
der 95 prozent jedoch kaum wahrgenommen werden, darf man sich nicht wun-
dern, wenn die sog. „schere“ immer weiter auseinander klafft und irgendwann
zu staatsgefährdenden unruhen führt.


die ursache für das auseinanderklaffen der „schere“ liegt in der mangelnden ob-
hut und am augenmass, an dem es die geschäftsführung des landes fehlen lässt.
sie hat offensichtlich nicht das wohlergehen der 95 prozent als primärziel und
hauptauftrag im sinn sondern widmet sich mit empfangsbereiter hingabe denen,
die ihr die wünsche gleich verpackt in vorschlägen für genehme gesetzesvorgaben
frei schreibtisch liefern. es wird mit zuckerbrot gelockt (finanzielle zuwendungen
in millionenhöhe für die parteien) aber auch mit der peitsche gedroht (sonst
schliessen wir die werke und gehen ins billige ausland: arbeitslose).


durch die ausreichung eines bedingungslosen grundeinkommens werden diese
lobbyaktivitäten, die allein im interesse der konzerne liegen und deren profit sichern
bzw. verbessern sollen, weder überflüssig noch relativiert. im gegenteil, da danach
noch mehr kaufkraft zur verfügung steht, wird das bestreben der konzerne darin
gipfeln, die zusätzlichen milliarden vom markt abzuschöpfen, um die eigenen ge-
winnerwartungen noch mal zu überholen. über kurz oder lang werden sich diese
grundeinkommen in der inflation auflösen. damit wäre die symptomatische therapie
mal wieder am ende, die politiker müssten sich etwas neues einfallen lassen, und
die „schere“ hätte sich nicht geschlossen sondern eher noch weiter geöffnet.



leben bedeutet immer: überleben wollen

ein weiteres gegenargument ergibt sich aus der eigenart des menschlichen wesens.
leben bedeutet unablässige anpassung sowohl an äussere bedingungen wie an
veränderungsprozesse im inneren. leben heisst wahrnehmen, was „draussen“
geschieht und in sich hineinhorchen, was drinnen ggf. brodelt. auf der basis dieser
wahrnehmungsleistung entscheidet der mensch, wie er leben möchte und versucht,
seine weichen zu stellen.

ausser zur muttermilch und zur elterlichen fürsorge haben kinder und jugendliche
(abgesehen von amtlicher hilfe) im regelfall keinen zugriff auf kostenlose lebenser-
haltende massnahmen. danach gilt es, für nahrung, kleidung, wohnung und alles,
was dazugehört, zu kämpfen und sich stück für stück einen persönlichen lebens-
standard zu erarbeiten. d. h. es gibt nichts geschenkt, sondern geld und werte gibt
es nur bei entsprechender gegenleistung
über den weg „bildung – ausbildung –
arbeit“, und zwar ob selbständig oder abhängig.


wenn der staat meint, das volk müsse beruhigt werden, dann hat er die pflicht, die
ursache der unruhe zu bekämpfen und zu beseitigen. es kann doch nicht angehen,
dass man versucht, den menschen in seinem bemühen, sich einen lebenserwerb
anzueignen, lahmzulegen, um es nur ja nicht mit den geldgebenden konzernen zu
verderben.

der bürger, der mensch und sein wesen, gehören in den mittelpunkt politischen
denkens und handelns. dafür werden abgeordnete, minister, kanzler und präsi-
denten vom volk bezahlt, und der bürger erwartet, dass seine persönlichkeit
respektiert wird und dass er selbst entscheiden kann, wie er seinen weg gehen
möchte, gemäss seinem inneren, individuellen lebensauftrag.


der anreiz, leistung zu erbringen, die dann auch entsprechend honoriert wird, ist ein
wesentlicher faktor im psychischen geschehen des menschen, und es ist vollkommen
gleichgültig, ob die erreichte ziellinie bei essen, trinken, kleiden und wohnen endet
oder bei der lösung physikalischer probleme, die die menschheit in die zukunft kata-
pultieren kann. entscheidend ist allein das ausmass an zufriedenheit mit sich selbst,
auf welchem leistungsniveau auch immer.



integratives handeln

dabei ist es doch so einfach: wenn in der derzeitigen situation die kapitalistische
ideologie den grundstock für die schiefe vermögensverteilung bildet, dann muss
eine gesamtgesellschaftliche umorientierung erfolgen. wenn das bisherige system
dem „einfachen arbeiter“, dem „kleinen angestellten“, dem „mittelständler“ durch
massnahmen wie globalisierung, digitalisierung und roboterisierung den boden
unter den füssen entzieht, bedarf es politischer führung, um diesen bürgergross-
gruppen durch wiederbeschaffung oder ersatz des verlorenen bodens eine
basis
zurückzugeben, die es ihnen ermöglicht, ihr leben aus eigener kraft
zu gestalten
.

angesichts des rapiden wertverfalls produktiver arbeit, wie wir ihn schon bald zwei
jahrzehnte beobachten können, hätte längst eine überprüfung regierungs- und
parteilicher zukunftsvisionen stattfinden müssen. aber anscheinend gibt es
weder in der regierung noch bei den parteien ein qualitätsmanagement, offensicht-
lich auch keine stellen- und arbeitsplatzbeschreibungen, betriebskonzepte und
-verfassungen, pflichtenhefte, kontrollaudits...

-    wenn allein durch computergestützte manipulationen auf dem geldmarkt in kür-
zester zeit milliardengewinne generiert werden können, die sich ein paar leute teilen,
ohne irgendetwas für staat und bürger wirklich produktives geleistet zu haben, dann
läuft etwas schief.

-    wenn der fiskus sich jährlich wissentlich milliarden euro durch steuerschlupf-
löcher entgehen lässt und sie somit bewusst dem bundeshaushalt entzieht, sei
die frage gestattet, wem dies nützt.
-    wenn sich anhand der unteren und mittleren einkommen ein durchschnittlicher
stundensatz errechnet, der im bereich der obersten 5 prozent der bevölkerung um
das hundert- oder mehrhundertfache überschritten wird - bei vergleichbarer arbeits-
zeit -  dann liegt der verdacht nahe, dass hier missbrauch getrieben und geld ver-
schoben wird, das letztendlich viele andere menschen mühsam erarbeitet haben,
ohne von diesen gewinnnen profitieren zu können.


es wäre politisch zu wünschen, diese auswüchse zu begrenzen, z.b. über eine steuer-
liche zusatzbelastung, die den sog. gewinn auf ein mass reduziert, das sich an den
verdienstmöglichkeiten der breiten masse orientiert, wobei leistungsabhängige ein-
künfte durchaus zu tolerieren sind. aber es ist nicht nachvollziehbar, dass jemand
das 100- oder mehrhundertfache des durchschnittslohns bezieht, wenn seine arbeits-
zeit auch nicht mehr als 40 stunden pro woche beträgt.


die solchermassen abgeschöpften steuereinnahmen stünden dann zur verfügung,
um entgangenen „boden“ wiederzubeschaffen und menschen in lohn und brot zu
bringen, damit sie sich unabhängig von staatlichen almosen selbst ernähren können.

es muss zu einer zentralen staatsaufgabe gehören, solchen „boden“ vorzuhalten für
alle, die als folge der kapitalistischen zeitenwende die grundlagen ihrer existenz ver-
loren haben oder aufgeben mussten. diese menschen müssen wieder „hereingeholt“
werden, aber nicht durch spenden und almosen sondern durch die bereitstellung
von
würdigen überlebens-bedingungen.

die idee der „inklusion“ muss für alle gelten. sie kann nicht nur für geistig und/oder
körperlich behinderte menschen realisiert werden.


nur auf selbst erreichtes kann man stolz sein; das verschafft dem bürger selbstachtung
und zufriedenheit.

sollte es denn wirklich nicht tolerierbar sein, wenn 95 prozent der bürger zufrieden
und 5 prozent unzufrieden sind anstatt umgekehrt?





15-12-2016


 


 

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